Rita Monaldi & Francesco Sorti, das italienische Schriftstellerpaar im ‚Exil‘ in Wien

DER STANDARD 1. Oktober 2016

Wien – Der Weg dorthin könnte als Einführung in ihre Romane gelten: vom Stephansplatz nimmt man einen Bus, dann eine Straßenbahn, danach muss man etwa zehn Minuten zu Fuß gehen. Die letzten 100 Meter steigt man über einen schmalen, steilen Pfad, wo keine Autos fahren dürfen. Das Haus über die Weinberge Wiens, wo Rita Monaldi und Francesco Sorti wohnen, ist verkehrsuntauglich und nur für Fußgänger zugänglich. Das italienische Schriftstellerpaar hat etwas von Bestseller-Stars und antiken, eremitischen Mönchen. Ihre Romane auch. Sie sind grenzüberschreitend historisch und imaginär, borderline zwischen Realität und Fiktion. Die Handlung läuft im literarischen und wohl auch unterhaltsamen Modus, die Recherche-Arbeit, die dahinter steckt, gleicht aber einem wissenschaftlichen Opus. Ihre Biographie hat auch Außergewöhnliches in sich. Beide in Rom geboren, Rita Monaldi (50 Jahre alt) promovierte in Altphilologie, ihr Mann Francesco Sorti (52) in Musikwissenschaft. Ihre beruflichen Anfänge haben sie als Journalisten versucht. Erfolglos: es war unmöglich eine Stelle in Rom zu bekommen. Die Leidenschaft für Geschichte, das Recherchieren und Stöbern in den Archiven und nicht zuletzt ihre Liebe zueinander hat sie letztendlich dazu gebracht, dem Journalismus den Rücken zu kehren und sich selbständig zu machen, und zwar als freie Schriftsteller, ohne Beziehungen, ohne Seilschaften, ohne Lobby. Ein Wagnis. Am Anfang schien es auch ganz gut zu gehen, dann aber endete es ins freigewähltes ‚Exil‘ nach Wien. Inzwischen sind sie weltberühmt, haben an die zehn dicke Romane (Durchschnittslänge 500 Seiten) geschrieben und leben freiwillig und gerne in Wien, soweit es ihr Beruf zulässt. Ihr Genre liegt zwischen Historien-und Bildungsroman. Stilistisch gelten sie als ‚Nachfahren‘ von Umberto Eco und seinem Bestseller Im Name der Rose. Ihre literarische und existenzielle Odyssee hat mit dem ersten Roman, Imprimatur, begonnen. Dort, anhand von Dokumenten, die von den Autoren entdeckt wurden, wird über ein unbekanntes Kapitel der katholischen Kirche erzählt, das angeblich der Vatikan keine Freude hatte, zu beleuchten. Nach dem Terroranschlag in New York vom 9.11. 2001 wollte die Kirche das Verfahren der Heiligsprechung des 1956 seliggesprochenen Papstes Innozenz XI aus der mächtigen Bankiersfamilie Odescalchi beschleunigen. Er hatte 1683 den polnischen König Sobieski, den ‚Retter‘ Wiens vor den Türken und somit des Abendlandes vor dem Islam, mit Kirchengeld finanziert. Mit seiner Heiligsprechung wollte der Vatikan seinen Beitrag im Kampf gegen den Terror unterstreichen. Schade nur, dass Monaldi & Sorti in ihren Recherchen in den vatikanischen Archiven auf ein Dokument stießen, das etwas sehr Peinliches für die Kirche belegt: um das geliehene Geld zurückzubekommen, half Innozenz XI. dem protestantischen Wilhelm von Oranien statt dem katholischen Jakob III. auf den Thron Englands und verursachte damit das Schisma der Anglikaner innerhalb der Kirche. Sehr unangenehm für den Vatikan! Die Folge war, dass die Heiligsprechung auf Eis gelegt wurde, aber auch ihr erster Roman Imprimatur aus dem Verkehr gezogen wurde.

„Den armen Papst – sagen sie etwas sarkastisch heute – haben wir die Heiligsprechung verbockt. Heute ist er in einem einsamen Winkel in Sankt Peter in Rom verbannt und auf der zentralen Stelle, wo er früher war, steht nun Woytila, der Heiliger Papst aus Polen“.

Der Mondadori Verlag, dessen Chef der Premierminister Berlusconi war, hatte vor, Imprimatur im großen Stil zu lancieren (erste Auflage 15.000 Exemplare und insgesamt 22.500), aber plötzlich wurden alle Bücher aus den Buchhandlungen Italiens entfernt. Das Buch war einfach nicht mehr zu finden, so wie auch Rezensionen und jegliche Erwähnungen in der Presse. Den Autoren blieb nur die Flucht ins Exil. Die Entscheidung fiel auf Wien wegen der wunderbaren Nationalbibliothek und der Fülle von Archiven und anderen Bibliotheken, der Nähe zu Italien und der idealen Umgebung, in der ihre beiden Kinder aufwachsen und zur Schule gehen konnten. Von nun an wurden alle ihre Bücher beim niederländischen Verlag De Bezige Bij veröffentlicht, der aus Protest gegen Italien auch eine begrenzte Ausgabe von Imprimatur auf Italienisch publizierte). Neun weitere Romane folgten, übersetzt in 26 Sprachen und verkauft in 60 Ländern außer Italien (in Deutschland bei Ullstein, Rowohlt und Aufbau erschienen, darunter auch der dritte, Veritas, der ganz in Wien spielt). Nur in Italien sind 13 Jahre lang keine erschienen. Protagonist aller ihrer ersten Romane ist Atto Melani, ein berühmter italienischer Kastrat, Bruder des Komponisten Alessandro Melani, der auch als Spion am französischen Hof von König Ludwig XIV. diente. Um ihn dreht sich auch der Wien gewidmete Roman Veritas, für den die Autoren ein Jahr lang recherchiert haben (Nationalbibliothek, Augustiner Bibliothek, Haus-Hof-und-Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Handschriftensammlung, Wiener Stadt-und-Land-Bibliothek, Wiener Stadt-und-Landesarchiv). Zwischen Fiktion und Realität liefert der Roman eine fantastische Abbildung der K&K-Hauptstadt zur Zeit vom jungen Kaiser Joseph I. und mitunter eine präzise Beschreibung vom habsburgischen Lustschloss Neugebäude, dem surrealen Bau, den Kaiser Maximilian II. errichten ließ, wo die Türken bei ihrer ersten Belagerung Wiens 1529 gelagert haben sollen, und das Joseph I. gerne hätte restaurieren lassen, aber es ihm wegen frühzeitigen, suspekten Tod nicht möglich war. Geplündert, auseinandergerissen und teilweise später von Kaiser Karl VI. und Kaiserin Maria Theresia für den Bau vom Schloss Schönbrunn und der Gloriette verwendet, steht die Ruine heute noch als vergessene Brache nahe dem Krematorium im Simmering.

Seit Kurzem hat sich für das Paar das Rad gedreht und sie dürfen endlich in Italien veröffentlichen. Baldini & Castoldi, einer der größten unabhängigen Verlage Italiens, ist dabei alle ihre Romane zu veröffentlichen: drei sind schon raus (im September 2015 ist Imprimatur erschienen, danach folgten Secretum und Veritas) und nun, am 7. Juli, in erster weltweiten Auflage, kommt ihr letzter Roman raus: „Malaparte – Morte come me“ (Malaparte, Tod wie ich). Es ist ein spannender Krimi mit historischem Hintergrund, auch wenn im Vorwort die Autoren unterstreichen, dass Charaktere, Handlung und Fakten 100% fiktiv sind. Die Hauptfigur lehnt sich an Curzio Malaparte, einer der angesehensten, heute in Vergessenheit geratenen italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der mit dem Faschismus, Kommunismus und der Kirche liebäugelte und von allen dreien hofiert wurde. Es spielt auf der Insel Capri kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs und führt den Leser durch eine spannende Verkettung von Intrigen, Spionen-Machenschaften, Liebeleien und Verrat.

„Heute, nach 13 Jahren ‚Veröffentlichungsverbot‘, haben wir uns mit Italien versöhnt, wir pendeln zwischen Wien und Rom“, sagen sie in ihrem Haus, das aus einer Seite ihrer Romane stammen könnte und wo ein Fernseher, gäbe es einen, wie ein Ufo erscheinen würde. Haus, Garten, Mobiliar und die Autoren selbst scheinen einer anderen Zeit entsprungen: zierlich und romantisch wie eine Jugendstil-Muse, sie. Flink, intellektuell mit Zwickel, etwas schelmisch wie Melani, der Hauptcharakter ihrer Romane, er.

   „Unser Muster ist der Bildungsroman. Umberto Eco und Alessandro Manzoni fühlen wir uns eher näher als, zum Beispiel, einem Dan Brown, da unsere Bücher historisch dokumentiert und oft in Form eines Briefwechsels konzipiert sind“.

Auf die Gegenwart zurückgeholt und auch zur Lage in Österreich sagen sie, dass das Problem unserer Gesellschaften, die Verbreitung von Populismus und Rassismus jeglicher Couleur auf der ganzen Welt, tiefer liegt. „Es liegt an der Ablehnung des Anderen, es fehlt an Barmherzigkeit, egal ob christliche oder laizistische, an der Fähigkeit Miteinander zu leben. Das einzige Heilmittel wäre die Bildung, die Erziehung, das Lernen der Geschichte und Geographie jenseits der zeitlichen und räumlichen Grenzen. Nur so kann der Mensch den eigenen Platz in der Geschichte finden“.

Siehe Artikel Der Standard 1.10.2016

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